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WM 2022: Die groteske Regel-Debatte um Messis zweites Tor

Hätte Argentiniens 3:2 im WM-Finale aberkannt werden müssen?

Die groteske Regel-Debatte um Messis zweites Tor

Das Tor zum zwischenzeitlichen 3:2 im WM-Finale: Lionel Messi überwindet Hugo Lloris, Jules Koundés Rettungstat kommt zu spät.

Das Tor zum zwischenzeitlichen 3:2 im WM-Finale: Lionel Messi überwindet Hugo Lloris, Jules Koundés Rettungstat kommt zu spät. IMAGO/Kyodo News

Als Lionel Messi Hugo Lloris in der Verlängerung des WM-Finals überwand, mussten Technologien aller Art zum Einsatz kommen, um die Rechtmäßigkeit des Tores zu überprüfen: Erst erhielt Schiedsrichter Szymon Marciniak das Signal, dass der Ball vollständig die Linie überschritten hatte, bevor Jules Koundé den Ball klärte. Dann bestätigte der VAR, dass Vorlagengeber Lautaro Martinez zuvor nicht im Abseits gestanden hatte, als er von Enzo Fernandez angespielt worden war. 

Und doch stand im Nachgang ein Fragezeichen über dem zwischenzeitlichen 3:2 für Argentinien gegen Frankreich - das vor allem französische Medien am Montag in den Raum stellten. Demnach hätte Messis zweiter Treffer des Abends nicht zählen dürfen, weil zwei mitfiebernde Auswechselspieler nahe der argentinischen Bank im Moment des Torabschlusses in der Hoffnung auf einen bevorstehenden Jubel das Spielfeld bereits betreten hatten. Das belegen TV-Aufnahmen.  

Der Regeltext ist nur vermeintlich eindeutig

Und unter Punkt 8 der Fußballregel 3 heißt es wörtlich: "Wenn der Schiedsrichter nach einem Tor, aber vor der Spielfortsetzung feststellt, dass sich zum Zeitpunkt des Tors eine zusätzliche Person auf dem Spielfeld befand, gibt der Schiedsrichter den Treffer nicht, wenn die zusätzliche Person ein Spieler, ein Auswechselspieler, ein ausgewechselter oder des Feldes verwiesener Spieler oder ein Teamoffizieller des Teams ist, das das Tor erzielt hat." Vielmehr werde das Spiel "mit einem direkten Freistoß an der Stelle fortgesetzt, an der sich die zusätzliche Person befand".

Kostete Frankreich ein irreguläres Tor also die WM-Titelverteidigung? Mitnichten. Wichtig ist zunächst einmal das Wort "feststellt" im Regeltext. Das heißt, es handelt sich um eine Tatsachenentscheidung des Referees, und niemand konnte Marciniaks Team ernsthaft vorhalten, dass es bei diesem Tor nicht bemerkte, wie sich in zig Metern Entfernung zwei völlig Unbeteiligte für einen kurzen Moment knapp innerhalb des Spielfelds aufhielten. "Grundlage der Entscheidung  ist also erst mal, dass er es nicht gesehen hat", erklärt DFB-Lehrwart Lutz Wagner gegenüber dem kicker.

Wagner: "Schiedsrichter sind Regelhüter, keine Detektive"

Entscheidend sei aber noch etwas anderes, was Wagner so ausdrückt: "Was erwartet der Fußball?" Es sei schließlich auch nicht in dessen Sinne und im Interesse der Beteiligten, ein Tor abzuerkennen, wenn beispielsweise in diesem Moment auf der anderen Seite des Rasens ein Zeugwart dem Torwart eine Trinkflasche reicht und dabei kurz den Strafraum betritt. Schiedsrichter haben laut Wagner immer auch "im Sinn und Geist" einer Regel zu entscheiden: "Sie sind Regelhüter, keine Detektive."

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Es wäre wahrlich grotesk gewesen, hätte Marciniak Messis Tor nicht zählen lassen. Anders wäre der Fall gelagert, wenn sich bei Messis Abschluss Unbefugte im französischen Strafraum aufgehalten und so die Szene beeinflusst hätten. Dann hätten Marciniak und sein Team eingreifen müssen - und wären zu Recht kritisiert worden, wenn sie es nicht getan hätten.

So jedoch wirkte es am Montag vielmehr so, als fiele es "L'Equipe" ("Warum das dritte argentinische Tor nicht hätte zählen dürfen") und anderen französischen Medien schwer, die Niederlage zu akzeptieren.

Jörn Petersen