Int. Fußball

"Herr Reichart ist das neue Gesicht eines Putsches der großen Vereine"

Gastbeitrag von La-Liga-Boss Tebas

"Herr Reichart ist das neue Gesicht eines Putsches der großen Vereine"

Kritisiert den Zehn-Punkte-Plan zur Super League scharf: La-Liga-Präsident Javier Tebas.

Kritisiert den Zehn-Punkte-Plan zur Super League scharf: La-Liga-Präsident Javier Tebas. picture alliance / ZUMAPRESS.com

Von Javier Tebas

Am Donnerstag wachte die europäische Fußballgemeinde mit einem Pamphlet auf, in dem zehn Grundsätze dargelegt wurden, die Europas Lieblingssport besser machen sollen als je zuvor. Ihr "Autor", Bernd Reichart, ist erst seit vier Monaten in der Sportwelt tätig, und zwar als CEO von A22 Sports (Anm. d. Red.: Reichart arbeitete in den 2000er Jahren für den Sportvermarkter Ufa Sports in Hamburg und Madrid). Einer Agentur, die von Freunden des Präsidenten von Real Madrid, Florentino Perez, finanziert wird, dem Vordenker dieser Initiative, die er schon seit vielen Jahren im Kopf hat, nicht erst seit der Präsentation der Europäischen Superliga im Jahr 2021.

Diejenigen von uns, die Florentino Perez nahestanden, wissen, was sein Modell für den Profifußball ist: das Modell der großen Klubs. Was ist also dieses unglaubliche Erfolgsrezept, das Herr Reichart vorstellt? Ein "Wettbewerb in mehreren Spielklassen mit insgesamt 60 bis 80 Mannschaften", die nach "der im Laufe der Saison erbrachten sportlichen Leistung" ausgewählt werden würden, ohne "ständige Mitglieder". Er verspricht finanzielle Stabilität und Berechenbarkeit durch ein Minimum von 14 europäischen Spielen pro Saison. All dies natürlich ohne kalendarische Probleme. Unglaublich. Sicherlich erstaunlich.

Lassen Sie sich nicht täuschen. Dies ist der neueste Versuch der großen Vereine, den europäischen Fußball zu kapern.

Javier Tebas

Aber es geht noch weiter. Nach seinen Prinzipien würden auch die europäischen nationalen Ligen aufblühen und durch die neu gegründete Europa-Liga mehr Mittel erhalten. Und, was noch unglaublicher ist: Auswärtsfans kämen in den Genuss aufregenderer Spiele mit besseren Stadionerlebnissen als je zuvor. All dies wäre dank eines neuen Verwaltungsmodells möglich, das von den Vereinen bestimmt wird.

Von welchen Klubs? Gewiss ausschließlich von großen Klubs. Die kleinen und mittleren Vereine werden nicht in der Lage sein, teilzunehmen oder mitzubestimmen im Austausch für die "Almosen" der großen Vereine. Lassen Sie sich nicht täuschen. Dies ist der neueste Versuch der großen Vereine, den europäischen Fußball zu kapern. Über die Jahre hinweg haben die großen Klubs die verschiedenen Gremien des europäischen Fußballs immer wieder in Geiselhaft genommen, um mehr und mehr Geld und Macht für sich zu sichern.

Herr Reichart ist das neue Gesicht eines Putsches der großen Vereine, die die volle Kontrolle übernehmen und den europäischen Fußball zu einem Sport für die Elite machen wollen, also eben nicht für jedermann. Der von Herrn Reichart und seinen Freunden angedachte Wettbewerb ist ein Putsch gegen das europäische Fußballmodell und würde das Ende der nationalen Meisterschaften bedeuten, egal was sie sagen.

Herr Reichart denkt, allen europäischen Ligen Lektionen zu erteilen.

Javier Tebas

Daher der einhellige Widerstand der nationalen Ligen, ob klein oder groß. Herr Reichart denkt, allen europäischen Ligen Lektionen zu erteilen. Glaubt er wirklich, dass die Führungen der Ligen unwissend sind? Die UEFA Conference League, die Europa League und die Champions League sind horizontale Wettbewerbe, die auf den nationalen Meisterschaften über den ganzen Kontinent hinweg aufsetzen. Vereine aus jedem Land qualifizieren sich für die verschiedenen Ebenen der europäischen Wettbewerbe auf der Grundlage der Leistungen in ihrer nationalen Liga. Das sorgt für Emotionen und Leidenschaft bei den Fans auf dem ganzen Kontinent. Niemand startet mit irgendwelchen Garantien in den nationalen Wettbewerb.

Das "offene" Modell von Herrn Reichart aber mit mehreren Spielklassen "auf der Grundlage von Leistungsprinzipien" reserviert die höchste Liga für die großen Klubs. Zu dieser höchsten Spielklasse wird es keinen direkten Zugang geben aus den nationalen Ligen. Es ist beabsichtigt, das "vertikale" Modell der nationalen Ligen auf Europa zu übertragen. Das würde die nationalen Ligen sportlich wie wirtschaftlich zerstören. Es hätte zur Folge, dass ein nationaler Meister keinen direkten Zugang mehr zur höchsten Liga Europas hat.

Diese erste europäische Kategorie ist den ganz Großen vorbehalten. Deren finanzielle Sicherheit würde beruhen auf dem sportlichen und wirtschaftlichen Ruin aller nationalen Ligen, ihrer Vereine und einem großen Teil des Wohlstands, der in diesem Umfeld generiert wird. Auf die nationalen Ligen entfallen heute 75 Prozent der im europäischen Fußball erzielten Einnahmen.

Es gibt mehr als 40 Profiligen und Verbände in Europa, mehr als 1.500 Profivereine, mehr als 53.000 Profifußballer, mehr als 75.000 Angestellte außerhalb des sportlichen Bereichs, die zusammen mehr als 25 Milliarden Euro Umsatz und viele Arbeitsplätze schaffen. Glauben Herr Reichart und seine Freunde, dass sie die Klügsten sind, und der Rest, UEFA, Verbände, Ligen, Vereine und Fans, die Dümmsten?

Javier Tebas ist seit 2013 Präsident der spanischen La Liga. Erstmals in ein Fußball-Amt kam der 60-Jährige 1993 als Präsident von SD Huesca. Später bekleidete der Rechtsanwalt weitere Rollen im Profifußball, er gilt als einer der Initiatoren der Zentralvermarktung der Medienrechte in Spanien.