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Rolf Kalb im Interview: "O'Sullivan ist an einem Tag der liebste Kumpel, am anderen...

Eurosport-Experte Rolf Kalb im kicker-Interview

"O'Sullivan ist an einem Tag der liebste Kumpel - am anderen hält man lieber vier Meter Abstand"

"Ein Wettbewerbstier": Rolf Kalb rechnet bei der WM mit Ronnie O'Sullivan.

"Ein Wettbewerbstier": Rolf Kalb rechnet bei der WM mit Ronnie O'Sullivan. imago images/VCG

Herr Kalb, am Samstag beginnt die Snooker-WM. Ihr Top-Favorit ist der Australier Neil Robertson, zumal er kürzlich die "Tour-Championship" gewann. Bei der WM triumphierte er allerdings nur einmal, im Jahr 2010. Woran liegt das?

Für mich hat er eine Blockade im Kopf. Er beklagt sich öfter darüber, dass er die WM nicht mag, dass die Distanzen zu lang sind und sich das kein Mensch anschaut. Und dass es in den ersten Runden im Crucible Theatre viel zu eng sei, dort wird zunächst auf zwei Tischen gespielt. Dazu muss man wissen, dass er bei der Stoßvorbereitung vier bis fünf Schritte zurückgeht und sich auf die Visierlinie stellt. Das kann er dort nicht machen. Damit müssen aber auch andere zurechtkommen, das ist eine Kopfsache. Und oft hat er die ersten Runden gut gespielt, und ab dem Viertelfinale kam dann gar nichts mehr von ihm.

Schillerndste Figur ist Ronnie O'Sullivan, der aber laut eigener Aussage Snooker "nur noch zum Spaß und Hobby" spielt. Was denken Sie über diese etwas laxe Einstellung?

Das ist ein alter Trick, um für sich selber Druck rauszunehmen. Auch O'Sullivan ist ein Wettbewerbstier, ihm ist das nicht egal. Ich habe ihn auf jeden Fall stark auf der Rechnung, auch wenn die untere Hälfte im Draw stärker besetzt ist als die obere. Da drohen ihm schon schwere Gegner. Aber das muss ja nicht verkehrt sein. Er wird nicht denken: "Den müsste ich ja locker packen." Er weiß ganz genau: Da ist nichts locker.  

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O'Sullivan war schon für den einen oder anderen Skandal gut. Wie erleben Sie "The Rocket" privat?

An einem Tag ist er der liebste Kumpel von der Welt und am nächsten hält man besser vier Meter Abstand. Natürlich ist er jemand, der starken Stimmungsschwankungen unterliegt, aber das kann man ihm nicht zum Vorwurf machen.

Auch der WM-Sieger von 2019, Judd Trump, hat nach der Tour Championship gesagt, Snooker mache ihm derzeit keinen Spaß. Braucht der Sport neue Impulse, vielleicht weniger Frames?

Was sollte das verändern? Der einzige Unterschied wäre, dass es leichter ist, den Titel zu holen. Die WM ist aber bewusst als absoluter Härtetest angelegt. Bei Trump spielt etwas anderes rein: Er hatte eine Phase, in der er die Szene dominiert und elf Titel in zwei Jahren geholt hat. Doch so eine Phase hält nicht ewig. Dann fragt man sich: Mache ich irgendwas verkehrt? Das verunsichert und man verliert ein bisschen die Lust. Es macht nun mal jedem Sportler auch mehr Spaß, zu gewinnen als zu verlieren.

Kürzlich erklärten Sie, dass Mark Selby für Sie keine Rolle spielt, obwohl er Titelverteidiger ist.

Selby hat ja selber öffentlich gemacht, dass er unter massiven mentalen Problemen leidet. Er hat schon darüber nachgedacht, eine längere Pause einzulegen und dann eine Auszeit bis zur WM angekündigt. Er hat jetzt seit zwei Monaten kein Match mehr gespielt. Ich kann von außen nicht beurteilen, wie seriös er sich vorbereitet hat, aber er hat gesagt, dass anderes im Vordergrund steht, Snooker müsse hinten anstehen. Deshalb sehe ich da viele Fragezeichen bei ihm.

Ein deutsches Talent, das den Boom anheizen könnte, ist aber nicht in Sicht, die WM findet nach der missglückten Qualifikation von Lukas Kleckers und Simon Lichtenberg mal wieder ohne einen Spieler aus Deutschland statt.

Die beiden sind nach wie vor die Besten, die wir haben. Sie machen Schritte nach vorne, das sind sicher ehrenvolle Niederlagen - aber es bleiben nun mal Niederlagen. Es muss noch mehr Stabilität reinkommen. Vielleicht wäre es wichtig, wenn sie konstant nach England gehen könnten, um konstant - auch im Training - auf starke Gegner zu treffen. 

Ein "erfahrener Hund" mit zittrigen Fingern

In einem Spiegel-Interview von 2005 erzählten Sie einmal Ihre Lieblingsanekdote. Dennis Taylor brachte einem Zuschauer mit Hustenanfall während einer entscheidenden Phase ein Glas Wasser auf die Tribüne. Welcher Moment ist Ihnen seitdem noch speziell hängengeblieben?

Zu den schönsten Dingen gehört, wenn ich bei den German Masters der "Master of Ceremonies" in Berlin im Tempodrom sein darf. Das ist ein Gänsehautgefühl - volles Haus, 2500 Leute, die richtig enthusiastisch sind. Das ist eine Wand von Menschen, die gar nicht mehr aufhört. Beim ersten Finale war Jan Verhaas der Schiedsrichter, ein wirklich erfahrener Hund. Im Midsession-Interval trafen wir uns draußen vor der Tür. Er sagte: 'Rolf, das glaubst du nicht. Das war das erste Mal, dass mir zu Beginn im ersten Frame die Hände gezittert haben. Ich habe alles schon mitgemacht, von WM- bis zum Masters-Finale in Wembley. Aber das ist mir noch nie passiert.' Er hatte wegen der Atmosphäre einen halben Frame gebraucht, bis seine Hand ruhig war.

Sie selbst sind im Landkreis Heinsberg aufgewachsen und wohnen inzwischen in Gütersloh. Für welchen Fußballverein schlägt eigentlich Rolf Kalbs Herz?

Ich muss gestehen, dass ich nicht der größte Fußballfan bin. Aber es war um die Ecke: die göttliche Borussia, also die "echte" Borussia aus Mönchengladbach. Da ist immer noch eine gewisse Verbundenheit da.

Mein Mentor sagte mir als 15-Jähriger: 'Jung, so jet es nit.'

Rolf Kalb

Sie arbeiten schon seit Ihrer Zeit als Teenager als Journalist, bald sind es 50 Jahre. Erinnern Sie sich noch an die Anfänge?

Damals war ich ein wahnsinniger 15-Jähriger, der durch Zufall mal bei der Rheinischen Post im Lokalsport zu Gast war. Ich war dann als erstes auf einem Fußball-Hallenturnier der D-Jugend. Ich habe es vom ersten bis zum letzten Ball angeschaut, 40 Zeilen auf der heimischen Reiseschreibmaschine getippt - wie ein Schulaufsatz. Den Sieger habe ich in der letzten Zeile verraten. Mein Mentor Hans Groob sagte: 'Jung, so jet es nit' und hat den Artikel vom Kopf auf die Füße gestellt. Ich dachte, damit sei meine Karriere als Sportjournalist beendet. Aber er muss wohl Potenzial gesehen haben und hat mir gleich den nächsten Termin angeboten. So bin ich weiter über die Dörfer gefahren.

Ihre Verabschiedungs-Floskel ist längst Kult geworden, Sie beenden Ihre Übertragungen stets mit "Ihr/Euer Rolf Kalb". Wie ist das entstanden?

Durch Zufall. Ich dachte nie, ich brauche eine "Catch Phrase". Ich habe ja schon früh interaktive Angebote gemacht, also dass Zuschauer mit mir in Kontakt treten können. Im Internet duzt man sich üblicherweise. Ich fand es blöd, die selben Leute dann am TV wieder zu siezen. Auf der anderen Seite kann ich aber ungefragt nicht alle ZuschauerInnen duzen. Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen soll, und da ist spontan dieses Ihr/Euer herausgekommen. Das kam gut an, und so habe ich es beibehalten.

Wie lange wird man Sie noch am Mikrofon erleben dürfen?

Pläne habe ich noch nicht, aber ich habe mir schon vorgenommen, meine Karriere zu beenden, solange die Leute noch denken: 'Ach, das ist aber schade, dass der Rolf aufgehört hat' und nicht: 'Ein Glück ist er endlich weg.' Diesen Moment möchte ich schon treffen. Meine Frau muss auch auf viel verzichten. Auf Familienfesten heißt es oft: 'Rolf kann nicht, Rolf hat Snooker.' Das hört sich beinahe schon an wie eine ansteckende Krankheit.

Die Snooker-WM in Sheffield beginnt am 16. April und endet am Montag, 2 Mai. Eurosport überträgt das Turnier sowohl im TV als auch im Stream.

Interview: Christoph Laskowski

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